Hanna Laura Klar Interview von David Oswald, Portrait von Martin Loew
DO: Wie sind Sie dazu gekommen, an der HfG Ulm zu studieren?
HLK: Ich habe in Ulm Abitur gemacht und ein Freund einer Freundin studierte an der HfG. Wir waren bei einem Fest an der Hochschule und Vordemberge-Gildewart fragte mich, ob ich nicht da studieren wolle. Zuerst sagte ich noch „Nein, ich will Pharmazie oder Medizin studieren.“ Und dann habe ich auch in einer Apotheke Praktikum gemacht. Nach zwei Monaten fiel mir das aber so sehr auf die Nerven, dass ich bei der HfG angerufen habe, um zu fragen, was man denn tun müsse, um dort zu studieren. Ich wusste nur nicht was. Grafik nicht, zeichnen konnte ich nicht, Architektur wollte ich sowieso nicht und Produktdesign hat mich gar nicht interessiert. Nur die Information fand ich interessant. Es hieß damals, das sei eine Ausbildung zum Schreiben für Rundfunk und Fernsehen. Da dachte ich, das kann ich. Ich musste dann im Gegensatz zu den anderen eine Aufnahmeprüfung machen, eine Kritik über ein Fernsehspiel schreiben. Ich hatte davon ja keine Ahnung und kein Mensch hat mir geholfen. Das habe ich dann alles alleine gemacht – und die sagten dann, ok, sie würden mich nehmen. Allerdings musste ich noch eine mündliche Prüfung machen.
DO: Die Abteilung Information war ja eine seltene Wahl. Die meisten sind natürlich nach Ulm gekommen, um Gestaltung oder Architektur zu studieren und kaum in einer textorientierten Abteilung.
HLK: Textorientiert stimmt ja gar nicht. Die dachten ja damals an der Hochschule, dass wir die Texte liefern zu ihren Produkten. Das haben wir nie gemacht. Damit hatte ich überhaupt nichts zu tun. Was mich interessierte, war das Hörstudio. Aber als ich dann anfing habe ich gesehen, dass die Abteilung ja schon am Absterben war. Ich war dann ehrlich gesagt etwas verwirrt, weil ich immer einen Dozenten für mich alleine hatte. Paul Pörtner, Harry Pross, etc. und es gab diese übergreifenden Fächer, Filmgeschichte bei Dörries und Patalas. Später wechselte ich zu Alexander Kluge und Edgar Reitz in die Filmabteilung, es gab ja sonst nichts mehr Richtiges.
DO: War denn Gert Kalow schon nicht mehr da?
HLK: Doch, der war am Anfang noch Abteilungsleiter. Dann ging er aber zum Hessischen Rundfunk. Ich habe noch mein Diplom bei ihm machen können, obwohl er weg war. Harry Pross war für mich aber die wichtigere Bezugsperson. Den fand ich sehr gut, nur ging er auch schon nach einem Jahr weg. Die Abteilung hatte sich so gut wie aufgelöst, ich dachte, verdammt, was mach ich denn jetzt? Wenn Pross geht, kann ich auch schon gehen! Ich hatte Freunde, die in Heidelberg studierten. Da bin ich dann auch hin und habe Philosophie und Ethnologie studiert. Ich fand nur diese Studenten in Heidelberg so spießig. Nach zwei Semestern wollte ich schleunigst wieder zurück an die HfG. Die haben mich zum Glück wieder genommen und mir sogar alle Scheine aus Heidelberg angerechnet. Dann habe ich in Ulm alles belegt was es noch gab und bin dann in die Filmabteilung eingestiegen.
DO: Und das wurde toleriert, dass jemand aus einer anderen Abteilung in der Filmabteilung Kurse belegt?
HLK: In der Filmabteilung gab es keine „Kurse“, das ist schon das falsche Wort, und einfach belegen ging auch nicht. Als ich zurückkommen wollte hieß es, ich müsse dann viel in der Filmabteilung machen. Denn die Information war zwar nicht aufgelöst, aber es gab ja nur noch mich. Paul Pörtner hatte ich damals, einen Schweizer Hörspielautor und Schriftsteller. Und Bremer, der war Dramaturg am Ulmer Theater. Als das alles drunter und drüber ging, habe ich ihn gefragt, ob ich eine Assistenz am Theater machen könnte und das dann gemacht. Ich hatte ein solches Glück, denn dadurch habe ich so viele unterschiedliche Sachen kennengelernt. Ich wusste ja damals nicht, wozu ich wirklich begabt war. Theaterregie war dann doch nicht so spannend, Spielen auch nicht, und Assistieren fand ich langweilig. Aber ich habe durch diese Arbeit gelernt, was ich gerne mache, was ich kann und was ich nicht kann.
DO: Nochmal zurück zum Anfang: Die Grundlehre war bei Ihnen schon abteilungsspezifisch?
HLK: Ja, ich habe nur gemacht, was für die Abteilung wichtig war. Fotografie zum Beispiel. Die grafischen Grundlagenübungen musste ich nicht machen, da war ich ja auch völlig unbegabt. Das hätte ich nicht gekonnt, da hätte ich gleich wieder gehen können.
DO: Sie haben Ihre Abschlussarbeit bei Mauricio Kagel gemacht, einem Komponisten. Auch eine Seltenheit, denn Musik war ja sonst kein großes Thema in Ulm.
HLK: Ja, meine Diplomarbeit hatte den Titel „Das akustische Museum“ und Mauricio Kagel war mein Referent. Um Musik ging es aber nur im weiteren Sinne. Wir hatten ja das Tonstudio und es gab einen Dozenten aus dem Siemens-Studio in München, der uns den Umgang mit der Studiotechnik beibrachte, also wie man Töne und Musik bearbeiten und verändern kann. Mein „Akustisches Museum“ waren vier Räume mit vier oder fünf verschiedenen Musiken und Tönen, jeweils im Original und mit Synthesizer und Vocoder bearbeiteten Collagen. Es hat mich fasziniert, was man alles machen konnte, zum Beispiel aus der Stimme Hitlers oder aus den Beatles. Das war Zerstörung einerseits und wiederum Aufbau andererseits.
DO: Das klingt für Ulm ungewöhnlich experimentell. Hat Sie denn die in Ulm sonst vorherrschende formale Strenge und Rigorosität nicht auch geprägt?
HLK: Ich bin eher Chaos-Verfechterin. Einerseits braucht man natürlich eine Form, aber die muss man auch durchbrechen können. Wenn man weiß was man will, kann man die Form durchbrechen. Sonst klammert man sich zu sehr an sie. Man muss manche Form zerstören, um etwas Neues zu machen. Mich hat diese formale Beengung auch dazu gebracht, darüber nachzudenken, was für mich wichtig ist. Das Tolle war ja, ich hatte dort die besten Dozenten aus aller Welt. Das war schon eine Eliteschule, und das habe ich ganz gut genutzt, glaube ich. Die Vielfalt an Menschen und an Inhalten hatte man zu der Zeit sonst nirgends. Heidelberg war dagegen so provinziell, obwohl da Mitscherlich und andere gute Leute waren. Aber im Vergleich war das ein völlig provinzieller Rahmen.

DO: Wie war das nach der HfG, wie ist aus Ihnen die selbstständige Filmemacherin geworden?
HLK: Alexander Kluge ging damals nach Frankfurt, seine Schwester Alexandra auch, mit der ich befreundet war. Bei dem Film „Gelegenheitsarbeit einer Sklavin“ (1973, Anm. D.O.) war ich Kluges Assistentin. So fing das an. Und auch Kalow war hier beim Hessischen Rundfunk, für ihn konnte ich viel für den Rundfunk schreiben. Das waren gut bezahlte Stundensendungen, damit konnte man damals richtig Geld verdienen. Wenn ich gerade keinen Film machte, habe ich Drehbücher geschrieben. Und dann habe ich hier meinen ersten Film „Marianne findet ihr Glück“ (1974, Anm. D.O.) gemacht, über zwei DDR-Mädchen.
DO: War nicht „Das schwache Geschlecht muss stärker werden“ (1970) Ihr erster Film?
HLK: Ja, den habe ich noch in Ulm gemacht, als ich noch studiert habe, beziehungsweise gerade fertig war. Das war mit der Filmakademie Berlin zusammen und mit Claudia von Alemann aus Ulm. Ich hatte den Film geschrieben und dem WDR angeboten. Der Redakteur sagte, gut, gefällt ihnen, und ich solle den Film doch gleich selber machen. Als ich entgegnete, dass ich das doch gar nicht könne, sagte er nur, dass ich das schon lernen würde! Meinen ersten Film habe ich dann also nicht nur geschrieben, sondern auch selbst gemacht, in Berlin. Ich hatte zwar auch die anderen Frauen dabei, aber ich war ja verantwortlich, weil ich vom WDR das Geld bekommen hatte. Dann habe ich gemerkt, dass es schwierig sein kann, mit Frauen zu arbeiten. Und dass das mit „Das schwache Geschlecht muss stärker werden“ auch nicht so einfach ist. (lacht) Aber der Film wurde ganz schön. Ich habe dabei viel gelernt, auch was die Technik angeht. Wir wussten schon prinzipiell wie ein Film gemacht wird, Thomas Mauch [Kameramann von 1962 bis 1968 an der HfG, Anm. D.O.] hatte uns auch die Kameraführung erklärt. Aber selbst hatten wir noch keinen gemacht. Wir hatten zum Glück einen netten Kameramann und der Redakteur vom WDR hat uns die Cutterin gleich mit zum Set gegeben. Die hat dann mitgeschrieben und aufgepasst, dass ich immer wusste, wie man dann später schneidet. So fing das an. Und komischerweise, wenn man mal einen Film gemacht hat, kann man nicht mehr aufhören. Es hat eine Kraft, eine Faszination. Man muss organisieren können, man muss einen guten Blick haben und man muss sich durchsetzen können. Als Frau wurde man damals wirklich leicht untergebuttert. Ich musste immer auf der Stelle wissen was zu tun ist und Anweisungen geben. Beim kleinsten Zögern hieß es sonst: „Also wenn Sie jetzt nicht wissen was wir machen, dann gehen wir wieder“.
DO: Ist denn das „schwache Geschlecht“ heute stärker geworden?
HLK: Ich war immer schon stark. Sonst hätte ich gar nichts machen können.
DO: Aber kann man davon etwas verallgemeinern?
HLK: Ich glaube nicht. Also ich bin einfach so sozialisiert, ich bin im Grunde wie ein Junge erzogen worden. Für mich war klar, dass ich studiere. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch nicht mal Abitur hatte. Ich hatte zum Glück etwas geerbt und konnte alles in Ruhe machen. Aber ich hatte niemanden außer einem älteren Bruder als Vormund, der mir das Geld austeilte. Ich glaube, ich bin am Krankenbett meiner Mutter stark geworden. Ein viertel Jahr bin ich am Krankenbett meiner Mutter gesessen. Da kann einem eigentlich nicht mehr viel passieren. Wenn man das von früh auf mitkriegt, ist man hochsensibel und gleichzeitig muss man knallhart sein. Sonst überlebt man nicht.
DO: In dem Buch „Frauen an der HfG Ulm“ steht über Sie: „Hannelore Waller schloss als letzte Studentin dieser Fachrichtung das Diplom ab.“
HLK: Mein Mädchenname ist „Waller“, geboren bin ich in Wallerstein und getauft wurde ich „Hanna Laura“. Daraus wurde dann später „Hannelore“. Irgendwann hat jemand an der Schule „Hannelore“ gesagt, und ich dachte, das ist ja wunderbar umkompliziert. In der Ulmer Zeit musste ich immer ein bischen unterstapeln. Ich habe dort zum Beispiel nie erzählt, dass ich alle Opern kenne. Politisch war man dort natürlich links und man durfte bloß nicht zu großbürgerlich sein. Andererseits waren sie die große Eliteschule. Ich war ja auch links, aber das ist eben nicht mein ganzes Leben. 1964 habe ich Michael Klar geheiratet und 1966 ist meine Tochter Ann geboren. 1971 haben wir uns scheiden lassen und ich habe den Namen „Klar“ behalten, denn als „Klar“ war ich schon als Filmerin bekannt. Seit 1991 bin ich mit dem Architekten Jens Jakob Happ verheiratet. Als ich 1972 nach Frankfurt ging, habe ich mich wieder „Hanna Laura“ genannt – das war wieder mein Leben. Hier habe ich mit Alexander Kluge gearbeitet, dann für den Südwestfunk und den Hessischen Rundfunk Filme gemacht und Essays geschrieben. An der Johann Wolfgang Goethe Universität habe ich noch Soziologie studiert und als Diplomsoziologin abgeschlossen. Die HfG hat mich schon auch geprägt, aber ich habe mich nicht mit ihr identifiziert. Ich habe mir dort halt genommen, was für mich wichtig war. Ich weiß auch nicht – ich habe so eine Hassliebe zur Hochschule.
DO: Bei dem Film über Elisabeth Hartnagel hat die HfG aber wahrscheinlich als Visitenkarte geholfen? [„Sophie’s Schwester“ von 2006. Elisabeth Hartnagel, geb. Scholl ist die Schwester von Hans, Sophie und Inge Scholl, Anm. D.O.]
HLK: Was? Nein, die Hochschule hat da nicht mehr geholfen. Wie gesagt, ich hab zur Hochschule eigentlich ein ambivalentes Verhältnis. Deshalb wollte ich damit auch nicht hausieren gehen.
DO: In der FAZ war zu lesen, dass der Film über Elisabeth Hartnagel wiederum Beate Klarsfeld überzeugt hat, mit Ihnen einen Film zu machen.
HLK: Ja, Beate Klarsfeld wollte wissen, was ich bisher gemacht habe. Als ich den Film über Elisabeth Hartnagel und Sophie Scholl erwähnte, da schrieb sie zurück, „Hans und Sophie Scholl sind unsere Vorbilder. Wenn Sie solche Filme machen, machen wir sofort einen Film mit Ihnen“.
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Zitation
Hanna Laura Klar "Interview mit David Oswald", Frankfurt am Main, 14. März 2013, in: David Oswald, Christiane Wachsmann, Petra Kellner (eds) Rückblicke. Die Abteilung Information an der hfg ulm. Ulm, 2015, pp. 164-167, online unter http://www.hfg-ulm.info/de/rueckblick_hanna-laura-klar.html
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Martin Loew
In der Nische eingerichtet:
Ein Porträt der Frankfurter Filmemacherin Hanna Laura Klar
Zu erwarten war es natürlich nicht, dass Beate Klarsfeld gegen Joachim Gauck die Bundespräsidentenwahl gewinnen würde. Aber wenigstens wurde sie durch ihre Nominierung wieder einer größeren Öffentlichkeit in Erinnerung gerufen, wobei sie zumeist zur „Frau mit der Ohrfeige“ reduziert wird. Deutlich facettenreicher aber ist das Bild, das Hanna Laura Klar von ihr zeichnet mit ihrem Film „Berlin – Paris. Die Geschichte der Beate Klarsfeld“, der im Herbst 2011 Premiere hatte.
Nur zu gut erinnert sich die Filmemacherin noch an die Entstehungsgeschichte des Projekts: „In Frankfurt fand eine Ausstellung zu den 68ern statt, die mich noch mal nachdrücklich auf Beate Klarsfeld aufmerksam gemacht hat. Und wenig später las ich ein sehr interessantes Interview mit ihr, so dass ich das Gefühl hatte, ich müsste sie treffen.“ Klar schrieb ihr nach Paris und erwähnte in der Mail auch, dass sie unter anderem einen Film über die Geschwister Scholl gemacht hat, die zu Beate Klarsfelds großen Vorbildern zählen. Das habe wohl den Ausschlag gegeben. Schon bald kam es zum Treffen in Paris. Der Grundstein für den Film war gelegt.
Das Interesse an außergewöhnlichen Lebenswegen, an Menschen, die einzigartig oder beinahe schon Außenseiter sind, zieht sich wie ein roter Faden durch Hanna Laura Klars Filmografie. Was sicherlich auch an der speziellen Nische liegt, die die Regisseurin für sich entdeckt hat: die „Life History Filme“. Immer wieder holt sie bemerkenswerte Persönlichkeiten vor die Kamera wie Beate Klarsfeld, oder den Theatermann Einar Schleef oder die Schriftstellerin Elfriede Jelinek oder schließlich auch Elisabeth Hartnagel, die Schwester von Sophie Scholl. Dabei sind es jedoch nicht allein die faszinierenden Biographien, die ihre Filme so eindrucksvoll machen, sondern insbesondere ihre ruhige, sehr einfühlsame Art der Annäherung an den jeweiligen Stoff.
Dieser spezielle Blick ist sicher auch das Resultat der umfassenden Ausbildung Hanna Laura Klars. Zunächst besuchte sie die Hochschule für Gestaltung in Ulm, wo damals unter anderem auch Edgar Reitz und Alexander Kluge unterrichteten. Nach ihrem Abschluss an der HfG wandte sie sich in Frankfurt noch dem Studium der Soziologie zu. Noch zu Ulmer HfG-Zeiten entstand der kämpferische Frauenfilm „Das schwache Geschlecht muß stärker werden“. Alexander Kluge unterstützte seine junge Studentin, die mit ihrem Exposé die Redaktion im WDR überzeugte und mit fünf Kolleginnen, Helke Sander, Ula Stöckl, Claudia von Alemann, Erika Runge und Susanne Beyeler den Film realisieren konnte. Es folgen Arbeiten für das Fernsehen, vor allem Dokumentationen. Aber auch TV-Movies wie „Marianne findet ihr Glück“ über zwei Frauen, die aus der DDR geflüchtet sind, und Kinderfilme wie „Was eß ich, wenn ich satt bin“ über ein übergewichtiges Mädchen und „Der Schrei des Shi Kai“, dessen Protagonist vom Vater misshandelt wird – Außenseiter, wie Hanna Laura Klar sie immer wieder ins Zentrum rückt.
Dass ein Dokumentarfilm über eine besondere Person keinesfalls nur „talking heads“ beinhalten muss, setzt sie zum ersten Mal bei „Al Copley – Maler und Wissenschaftler“ um, einer Dokumentation, die das ZDF in der Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ in Auftrag gegeben hatte. Statt dessen folgt sie Copley durch dessen Alltag und verwebt diese Beobachtungen mit Statements und Interviewpassagen.
Das nächste Projekt galt dem Schriftsteller Richard Plant. Vier Jahre benötigte die Frankfurter Filmemacherin, um die Finanzierung auf die Beine zu stellen; als 1998 endlich gedreht werden konnte, ist Plant so krank, dass er nicht mehr vor die Kamera konnte. Alexander Karp, der in Frankfurt am Sigmund-Freud-Institut promovierte, spielt daraufhin für den Film die Szenen von Plants Leben nach.
Es folgt der Zweiteiler „Faust als Emigrant“ ein einfühlsames Porträt des Theaterregisseurs Einar Schleef. Die Nähe, die sich zwischen Regisseurin und Protagonist während der Dreharbeiten entwickelt, erlaubt nicht nur sehr intensive Einblicke in Schleefs Leben und seine Reflexionen zu Kultur und Alltag. Er ermutigt Klar auch, mit vor die Kamera zu kommen. Die Interviewerin soll nicht vor den Zuschauern verborgen bleiben.
Nach dem Tod Schleefs führt Klar Gespräche mit dessen Tochter, deren Mutter und Elfriede Jelinek. Aus diesem Material entsteht nicht nur der Film „3 Frauen um Schleef“, die Wiener Autorin nimmt Klar auch mit zu ihrer Freundin, der Lyrikerin Elfriede Gerstl. Die langjährige Freundschaft zwischen den zwei unterschiedlichen Frauen Jelinek und Gerstl fasziniert Klar so sehr, dass sie sie im Film „Elfriede und Elfriede“ festhält. „Die Dreharbeiten“, so Klar, „zogen sich über ein Jahr hin. Immer wieder besuchte ich die beiden in Wien und schließlich wurden die Gespräch so vertrauensvoll, als sei die Kamera gar nicht vorhanden gewesen.“
Gerade „Elfriede und Elfriede“ belegt das große Einfühlungsvermögen und die Geduld, mit der Hanna Laura Klar sich ihren Protagonisten nähert. Denn die eigentlich sehr öffentlichkeitsscheue Nobelpreisträgerin, die sich gern hinter exaltierten Outfits versteckt, war vorher kaum vor eine Kamera zu kriegen und schon gar nicht in ihrer Wohnung.
Auslöser für den Film „Sofie’s Schwester“ war ein anderer Film. „Ich hatte ‚Die letzten Tage‘ im Kino gesehen und war so beeindruckt“, erzählt Klar, „dass mich das Thema nicht mehr losließ. Bei Recherchen stieß ich schließlich auf Elisabeth Hartnagel, die letzte noch lebende der fünf Geschwister Scholl“. Und auch in „Sofie‘s Schwester“ zeigt sich wieder die große Stärke Klars, ihren Protagonisten Raum für Erinnerungen und Erzählungen zu geben und damit den familiären Hintergrund deutlich werden zu lassen, der das Handeln von Hans und Sofie Scholl geprägt hat.
Ihre nächste Arbeit beschäftigt sich mit einem Aspekt des Holocaust. In „Die Protokollantin“ porträtiert Klar die Ärztin und Psychoanalytikerin Alice Ricciardi-von Platen, die 1946 von Alexander Mitscherlich in die Beobachterkommission zum Euthanasie-Prozess in Nürnberg berufen wurde. Als letzte noch lebende Zeitzeugin des Prozesses berichtet Ricciardi-von Platen von den Gräueln der Menschenversuche und der Ermordung geistig Behinderter. Klar gelingt es, den Schrecken der Worte mit den Bildern der Wahlheimat ihrer Protagonistin – der Toskana – zu einem beeindruckenden Tableau zu verweben.
Ein ums andere Mal wird sichtbar, dass es die spezielle Herangehensweise an das Sujet ist, der geschulte Umgang mit Menschen und das Einfühlungsvermögen, die die Life History Filme von Hanna Laura Klar auszeichnen. Fern ab von Effekthascherei und schnellen Erklärungen nehmen die Filme sich die Zeit, die es braucht, um die Lebenswege außergewöhnlicher Menschen nachzuzeichnen. Gleichzeitig gewinnen die Filme mit der Zeit eine Reife, die ein Wiedersehen immer wieder zu einem neuen, besonderen Erlebnis macht.
Zuerst erschienen in GRIP, Zeitschrift des Filmhaus Frankfurt, Ausgabe 46, 2012.